04.09.2024
Erl

Glaube, Liebe, Hoffnung als Essenz des Christentums

Schauspieler und Regisseur Martin Leutgeb inszeniert die Passionsspiele in Erl

Der Tiroler Schauspieler und Regisseur Martin Leutgeb bringt frischen Wind in die traditionsreichen Passionsspiele in Erl. Im Interview spricht er über seine persönliche Verbindung zu den Passionsspielen, seine neue Textfassung und die zentrale Bedeutung von Glaube, Liebe und Hoffnung in der Inszenierung. Dabei betont er die emotionale Kraft der Geschichte und gibt Einblicke in seinen kreativen Prozess, der das Publikum auf eine tiefere Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben vorbereiten soll.
    Die Hardfacts im Überblick
  • Die Passionsspiele Erl sind seit 1613 eine Tradition und damit der älteste Passionsspielort im deutschsprachigen Raum.
  • Die Passionsspiele finden alle sechs Jahre statt; die nächsten Aufführungen sind von Mai bis Oktober 2025 geplant.
  • Das Passionsspielhaus mit 1.500 Sitzplätzen wurde von 1956 und 1959 nach den Plänen von Robert Schuller erbaut.
  • Für die Inszenierung von Martin Leutgeb haben sich 540 Laiendarsteller:innen angemeldet.

Herr Leutgeb, was war Ihr erster Berührungspunkt mit den Passionsspielen?

Ich bin in Tirol aufgewachsen, wo die Kirche einen großen Einfluss hatte. Durch die katholische Prägung und viele positive Erlebnisse, habe ich den Glauben auf natürliche Weise aufgenommen, was mit der Passion unmittelbar zu tun hat. In meiner Kindheit hieß es über die Passionsspiele noch: „Na, das schauen wir uns nicht an, das dauert zu lange.“ Ich erinnere mich genau, dass ich damals Autogrammkarten der Darsteller in Schwarz-Weiß bekommen habe. Da habe ich schon die Begeisterung für das Theater und die Passion in mir gespürt.

War es der rituelle Charakter, der Sie interessiert hat?

Als Kind hinterfragt man den Glauben nicht so sehr. Der Glaube ist stark mit der Liebe verbunden, und das Neue Testament entfernt sich weit vom Bild des „rächenden Gottes“. Die Liebe, die daraus hervorgeht, ist etwas Schönes. Aus dieser Nächstenliebe heraus, möchte man niemandem Leid zufügen. Das sind die Essenzen des christlichen Glaubens: Glaube, Liebe und Hoffnung.

Was hat Sie bewegt, die Textfassung selbst zu schreiben?

Ich empfinde große Wertschätzung für meine Vorgänger, trotzdem habe ich gemerkt, dass die Leute jetzt etwas Neues sehen möchten. Auch die Erler wollen etwas anderes spielen. So habe ich mich entschlossen, selbst eine Fassung zu schreiben. Ich habe einen ersten Vorschlag abgegeben und man war sofort angetan.

Ist der Stücktext schon fertig?

Ja, der Text ist fertig und könnte so gespielt werden. In den Proben werden aber sicher noch Änderungen vorgenommen, je nach den Vorschlägen der Darsteller:innen. Die Bedeutung der Sätze variiert je nachdem, wie man sie formuliert. Aber die Grundstruktur steht.

 

Neue Impulse für die traditionsreichen Passionsspiele Erl

 

Worauf legen Sie den Fokus?

Gegenfrage: Was interessiert die Zuschauer:innen, wenn sie ins Theater gehen? Ich denke, es ist der Konflikt. Die Passion ist voller Konflikte, das sind gute Voraussetzungen. Gibt es eine für Sie zentrale Frage? Ich habe mich immer gefragt: Wie inszeniert man Gott? Und die Antwort ist ganz einfach: Gott sei Dank war Jesus ein Mensch. Für mich geht es immer um diese Frage: Ist er es oder ist er es nicht? Vollbringt er Wunder? Soll man an ihn glauben? Wir erzählen eine Geschichte, in der das Christentum als eine Lebensphilosophie betrachtet wird.

Wie gehen Sie mit den Wundererzählungen um?

Wunder werden bei uns nicht gespielt. Die Geschichten bleiben im Hörensagen. So bleibt die Frage bestehen, ob man Wunder braucht, um zu glauben? Nach dem Abendmahl geht Jesus in den Garten und plötzlich spürt er seinen Vater nicht mehr. Da entwickelt er selbst eine große Verunsicherung und fragt sich: Habe ich etwas falsch verstanden?

Sie sprechen davon, frischen Wind in die Passionsspiele zu bringen. Was bedeutet das konkret in Bezug auf die Inszenierung?

Wir wollen die Geschichte im christlichen Sinne erzählen, aber auf eine neue Art: Kinder spielen eine wichtige Rolle in unserer Inszenierung. Jesus als Kind wird immer wieder auftauchen, was eine gewisse Naivität und Reinheit symbolisiert. Ein Kind versteht keine Ironie oder Sarkasmus, es handelt aus reiner Liebe. Wir wollen diese Unschuld und Berührbarkeit zeigen.

 

Liebe in all ihren Facetten als das zentrales Motiv der Inszenierung

 

Warum soll die Liebe zu einem zentralen Motiv Ihrer Inszenierung werden?

Für mich ist die Liebe in all ihren Formen am Wichtigsten: Sie beginnt mit der Mutterliebe bei Maria, die so bedingungslos ist. Welche Art von Liebe hatte Maria Magdalena für Jesus? Ist Petrus enttäuscht, weil er nicht so geliebt wird? Wieso verstecken sich die Jünger bei der Verhaftung von Jesus und stehen ihm nicht bei? Ihre Angst steht der Liebe im Weg.

Spielt die Musik von Christian Kolonovits eine zentrale Rolle?

Vor der Pause wird es zwei Feste geben, um ein Beispiel zu nennen. Ein Pharisäer, der von Jesus geheilt wurde, sieht ihn als ‚Doktor‘, will aber nicht an ihn glauben. Da kommt keine wirkliche Stimmung auf, auch musikalisch nicht. Und dann sehen wir ein zweites Fest, um die Auferweckung des Lazarus zu feiern – hier schöpft die Musik aus den Vollen, alle freuen sich und Jesus wird tanzen, als Ausdruck purer Lebensfreude. Solche Bilder suche ich.

Gibt es eine bestimmte Szene, die Ihnen besonders am Herzen liegen?

Ja, eine Szene dreht sich um den brennenden Dornbusch, der das Wort Gottes symbolisiert. Hier zeigt sich das irdische Denken, das sich auflöst, wenn man in den Glauben eintritt. Mir ist es wichtig zu zeigen, dass die Passion schon mit Christi Geburt beginnt: Der erste Schritt ins Leben ist der erste Schritt in den Tod. Maria und Josef ziehen mit dem Esel aus, um Asyl zu suchen. Wenn er soweit ist, kommt Jesus mit dem Esel zurück. Er wählt freiwillig diesen Weg und alle wissen, was ihm bevorsteht.

Was möchten Sie mit Ihrer Arbeit erreichen?

Ich möchte, dass die Menschen sich mit dem Glauben auseinandersetzen. Das Ziel ist, eine Orientierung zu bieten, ohne alle Antworten vorzugeben. Es geht um die gemeinsame Suche nach einer tieferen Bedeutung. Abschließend, was ist Ihre Hoffnung für die Inszenierung? Ich hoffe, dass wir das Publikum berühren und zum Nachdenken anregen können. Jeder soll etwas für sich mitnehmen, sei es durch den Glauben, durch die Geschichte oder einfach durch die emotionale Kraft der Inszenierung.

 

 

MIT DER PASSION DURCH DIE JAHRHUNDERTE

Eine Bühne für über 500 Personen

 

Die Passionsspiele Erl sind ein einzigartiges kulturelles Ereignis, das tief in der Tradition der kleinen Tiroler Gemeinde verwurzelt ist. Seit 1613 führen die Erler:innen alle sechs Jahre die Spiele auf, die als Gelöbnis während der Pestzeit entstanden sind. Damit ist Erl der älteste Passionsspielort im deutschsprachigen Raum. Die kommenden Aufführungen werden von Mai bis Oktober 2025 im beeindruckenden Passionsspielhaus stattfinden. Dieses bietet Platz für 1.500 Besucher:innen. Das Passionsspielhaus, erbaut nach den Plänen von Robert Schuller von 1956 bis 1959, ist für seine einzigartige Architektur und die herausragende Akustik bekannt.

Für die Inszenierung von Martin Leutgeb haben sich 540 Laiendarsteller:innen angemeldet. Rund 500 Menschen werden sich am Chor beteiligen, das entspricht fast einem Drittel der Erler Bevölkerung. Die künstlerische Arbeit mit den Laiendarsteller:innen wird von intensiver Betreuung begleitet. Regisseur Martin Leutgeb legt großen Wert auf Empathie und Leidenschaft, denn Emotionen sind seiner Ansicht nach der Schlüssel zur Wirkung auf der Bühne.

In den kommenden Wochen finden zunächst Gespräche mit den Darstellern der größeren Rollen statt, gefolgt von Sprechübungen, um die Grundlagen zu festigen. Ab Oktober werden die Proben intensiviert, um die Aufführung perfekt vorzubereiten. Das Stück wird auf eine Länge von circa drei Stunden angelegt, wobei der Fokus auf einer konzentrierten Erzählweise liegt, um den Stoff präzise und eindringlich zu vermitteln.

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